Nie wieder Vernunft
Kleiner Beiträge zur Sozialkunde
Autor: Dirk Baecker
Verlag: Carl Auer, 2008. 1. Auflage
Der bekannte Systemtheoretiker, gibt sich die Ehre. Eine chronologische Rückschau auf ausgewählte Themen die uns irgendwann, irgendwie vielleicht schon einmal beschäftigt haben. Und natürlich etwas mehr von dem was eben Systemiker interessiert, wenn Sie auf unsere Gesellschaft blicken.
Ein Spaziergang durch die deutsche Kulturlandschaft von 1992 bis 2007 ist das, was dem Leser hier geboten wird. Dirk Baecker, wohl allgemein bekannter Soziologe und Systemtheoretiker, veröffentlicht mit diesem Buch diverse Beiträge, Artikel, Kommentare, die er in unterschiedlichen Zeitschriften wie der taz, Frankfurter Rundschau und vielen anderen Zeitungen, veröffentlicht hat. Die Beiträge in dem insgesamt 630 Seiten starken und eng beschriebenen Taschenbuch, sind meist zwischen 2-8 Seiten lang.
Die Themenauswahl ist bunt gemischt und spiegelt klar die subjektive Sicht des Autors.
Eine kleine Auswahl: Bevölkerungswachstum, Kultur, Ökonomie, Niklas Luhmann, Netzwerke, Politik, Theater, Management, Erziehung, Reform, Klimawandel und vieles andere mehr.
Aufgrund des großen Zeitraumes (immerhin 15 Jahre) der Sammlung, spiegelt diese Auswahl auch Themen der unterschiedlichen Phasen deutscher Gesellschaftsentwicklung. Er reflektiert sowohl sehr persönlich als auch allgemein deutend, die aktuellen Geschehnisse und größeren Entwicklungen.
Obwohl die Beiträge teils recht kurz sind, benötigt man als Leserin meist hohe Konzentration, um der meist sehr abstrakten Sprache wirklich folgen zu können. Herr Baecker liebt die Sprache um sie bis ins Detail auszureizen. Der Versuch hier die Komplexität unserer Umwelt zu beschreiben, trägt sicherlich nur selten zur Lesbarkeit und Verständlichkeit bei. Auch seine Interpretation der Begriffe ist häufig sehr subjektiv, auch wenn die Formulierungen das Gefühl vermitteln: Hier sagt uns jemand wie die Dinge sind. Politisch sympathisiert er mit der linken Seite deutscher Politik und macht daraus keinen Hehl. Ob dies dem Anspruch sich hier über deutsche Kultur angemessen zu äußern, wird so in seiner Relativität deutlich.
Hier ein paar Kostproben, die eher aus der gut verständlichen Ecke des Buches stammen:
- Thema Netzwerke: „Das Netzwerk ist eine Organisationsidee, die die Möglichkeit loser Kopplung an die Stelle der traditionellen Idee der festen Kopplung treten lässt.“ (S. 93)
- Thema Management: „ Es geht nicht darum, die Lieferanten und Kunden noch besser zu überzeugen als bisher. Sondern es geht darum, in der turbulenten Umwelt, in der sch das Netzwerk bewähren muss, die Fähigkeit zur autonomen Entscheidung zu bewahren. Nur wer so beweglich ist wie die anderen, wird glaubhaft machen können, dass er ein verlässlicher Mitspieler ist.“ (S. 240)
- Thema Kommunikation: „Kommunikation gleich in welchem Bereich versteht man nur, wenn man versteht, was unterschiedliche Leute dazu bringt, gemeinsame Sache machen zu wollen.“ (S. 283)
- Thema Kultur: „Kultur ist ein Rechner, der es uns ermöglicht, ein Verhalten, das wir für richtig halten, von einem Verhalten, das wir für falsch halten, zu unterscheiden, gleichgültig aus welchem Anlass, und gleichzeitig im Hinblick auf diese Unterscheidung lernfähig zu bleiben.“ (S. 337)
- Thema Niklas Luhmann: „Auch für die Arbeit mit dieser Theorie gilt daher, was Luhmann von der Selbstreferenz im Allgemeinen sagt: Sie entfaltet ihre eigene Geschlossenheit über den kontrollierten Umgang mit der Negation. Nur wer die Theorie Luhmanns im Ganzen ablehnt und in einigen ausgewählten Hinsichten dann doch annimmt, kommt ihr allmählich auf die Spur. Der umgekehrte Weg, die Theorie insgesamt anzunehmen und dann hier und dort zu korrigieren, ist der Weg der Schule, der jedoch mit enormen Kosten verbunden ist. Man kommt hier viel zu spät zum eigenen Arbeiten mit der Theorie.“ (S. 464)
Dieses Buch ist weniger geeignet es quasi „durch zu lesen“. Eher eine Gelegenheitsnahrung, die man sich immer wieder einmal zuführen kann um sich mit der komplexen und eigenwilligen Gedankenwelt Herrn Baeckers auseinander zu setzen. Aufgrund seines profunden und sehr umfassenden Wissens, stellt er überraschende und nicht immer wirklich nachvollziehbare Verknüpfungen her. Doch nimmt man das in Kauf und nutzt dies um eigene Positionen zu finden, begegnen Sie hier einem äußerst anregenden Gesprächspartner. Dazu gehört auch der Mut Seiten weg zu blättern, denn einige seiner Sprachkunstwerke sind für den Durchschnittsleser nur bedingt nachvollziehbar.
Es ist wie die Empfehlung von Ernährungswissenschaftlern, dass wie hier zu wenig bittere Nahrung aufnehmen, die jedoch der Gesundheit sehr zuträglich sind. Dieses Buch schmeckt nicht immer gut, ist sogar manchmal kaum bekömmlich. Doch sicherlich trägt es zur geistigen Belebung bei.