Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners

Gespräche für Skeptiker

Autoren: Heinz von Förster / Dr. Bernhard Pörksen
H. v. Förster: Jahrgang 1911, gestorben 2002, Physiker, Vordenker im Bereich Konstruktivismus
B. Pörksen: Journalist und Juniorprofessor an der Universität Hamburg
Verlag: Carl Auer Verlag, 6. Auflage, 2004

 
Ein wunderbares Buch, durch das man die erfreuliche Möglichkeit erhält, einem ungewöhnlichen, liebenswürdigen und bescheidenen Herren aus dem Kreise der klugen Vordenker im 20. Jahrhundert, etwas näher treten zu dürfen. Hier geht es um sehr viel mehr als intellektuelle Gedankenspielereien zur Systemik. Hier geht es um das Leben und den Menschen. Ganz grundsätzlich.


Wie kann man ein Buch irgendwie „objektiv“ rezensieren, wenn die Hauptperson sich strikt misstrauisch gegenüber jeglicher Art von Objektivität zeigt? Am besten man unterlässt dies und schreibt sehr subjektiv von den eigenen Gedanken und Gefühlen bei der Lektüre.

So will ich trotzdem kurz den Rahmen darlegen (der eben doch objektiv nachvollziehbar ist): Bernhard Pörksen interviewt im Juni 1977 Heinz von Förster, in seinem Haus auf dem „Rattlesnake Hill“ in Californien. Doch ist dies mehr ein Gespräch, ein Gedankenaustausch zweier kluger Menschen, die sich gemeinsam auf die Forschungsreise in die Sprache und
ihre daraus resultierende Weltkonstruktion begeben. Herr Pörksen stellt Fragen wie man sie als „typisch rational denkender Mensch“ natürlicherweise stellt. Die Antworten sind jedoch fast durchgehend überraschend, irritierend und hinterlassen ein Empfinden von angenehmer Leere im Kopf. In dieser Leere entstehen neue Sichten mit denen dann das Zwiegespräch Seite für Seite intensiver nachvollzogen werden kann.

Dies sind die Themenräume, in die wir als Leser entführt werden:

1. Bilder des Wirklichen: Biologie der Wahrnehmung, Facetten der Wirklichkeit,
die Gefahr des Etiketts, Erklärung der Erklärung

2. Perspektiven der Praxis: Pädagogik, Psychotherapie, Management,
Kommunikation

3. Kybernetik: Zirkularität u.a….

4. Biographische Exkurse: Kindheit und Jugend, Kriegsjahre und Nachkriegszeit, Sprung in eine andere Welt: Amerika

5. Erkenntnis und Ethik: Ethik ist keine Theorie, Entscheidbare und
unentscheidbare Fragen, Verantwortung für die Welt

Auf den 1. Blick wirken die Themen abstrakt, theoretisch, vielleicht sogar irgendwie abgehoben. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Hier antwortet ein Mensch, der tiefsinnig und äußerst ernsthaft den Bedingungen auf der Spur ist, die im Menschen wirkliche Freiheit und Selbstbestimmtheit ermöglichen. In Anbetracht unserer, zur Zeit so hochaktuellen, teilweise mehr als peinlichen, Wertediskussionen, haben Sie hier die Möglichkeit über menschliche Grundbedingungen nachzudenken, die ein konstruktives Zusammenleben ermöglichen könnten.

Ich werde nun endlich Herrn von Förster selbst zu Wort kommen lassen, denn seine Sprache ist zu wunderbar um interpretiert werden zu können. Es folgen nun – mir besonders prägnant erscheinende Zitate aus den Kapiteln:

1. Kapitel

„Wahrheit ist, so habe ich einmal gesagt, die Erfindung eines Lügners. Damit ist  gemeint, dass sich Wahrheit und Lüge gegenseitig bedingen: Wer von Wahrheit spricht, macht den anderen direkt oder indirekt zum Lügner. Diese beiden Begriffe gehören zu einer Kategorie des Denkens, aus der ich gerne heraustreten würde, um eine ganz neue Sicht und Einsicht zu ermöglichen „ (S. 29)…“Für mich ist diese Sicherheit des Absoluten, die einem Halt geben soll, etwas Gefährliches, das einem Menschen die Verantwortung für seine Sicht der Dinge nimmt. Mein Ziel ist es, eher die Eigenverantwortung und die Individualität des einzelnen zu betonen. Ich möchte das er lernt, auf eigenen Füssen zu stehen und seinen persönlichen Anschauungen zu vertrauen…..“ (S. 34)…“Der Weg ist nichts Ewiges und von vorneherein Festgelegtes, er entsteht im Moment des Gehens, im Augenblick der Bewegung.“ (S. 42)

2. Kapitel

„ Die Psychologen …reden gerne von einer Identität, wenn sie bei ihren Klienten eine Identitätskrise diagnostizieren. Allerdings: ich würde den Psychologen entgegenhalten, dass sie es sind, die diese Krise produziert haben, weil sie an so etwas wie eine Identität überhaupt glauben.“ (S. 95)

4. Kapitel

„Von Margarethe Bauer- Clumberg lernte ich, dass das Wesentliche immer die Nuancen sind. Ich begriff: Wenn die Nuancen stimmen, dann kann etwas Richtiges gesagt werden.“ (S. 135)

5. Kapitel

„Worauf es ankommt ist, dass ethische Fragen nicht zurückgelehnt im Lehrstuhl  besprochen werden können; sie ergeben sich in einer konkreten Situation, sie sind nicht abgehoben und losgelöst debattierbar.“ (S. 154)

„Eine entscheidbare Frage wird immer innerhalb eines Rahmens entschieden, der die mögliche und jeweils richtige Antwort bereits vorgibt. Ihre Entscheidbarkeit wird durch gewisse Spielregeln und Formalismen, die man allerdings akzeptieren muss, gesichert. …..Unentscheidbare Fragen, die etwas von der höheren Existenz höherer Wesenheiten, dem Sinn des Lebens, der Entstehung der Welt und dem Weiterleben nach dem Tod handeln. Sie besitzen eine Vielzahl möglicher Antworten.“ (S. 159)

 

Immer wieder spürt man einen Menschen hinter den Worten, der das Glück hatte in einer Welt geistiger Weite und kultureller Blüte aufwachsen zu dürfen. Seine Kindheit war geprägt durch Menschen aus Kunst und Musik. Seine spätere Lebenszeit brachte ihm die Möglichkeit mit den großen Denkern wie Victor Frankl, in Amerika mit Margaret Mead, Gregory Bateson, Friedrich von Hayek, Frank Rosenblatt etc.etc. eng zusammen zu denken, zu forschen, zu reden, zu feiern und zu lachen.

Dieses Buch richtet sich an jeden Menschen, der bereit ist eigene Denkstrukturen sanft (andere beschreiben sie eher als radikal) aber bestimmt hinterfragen zu lassen. Systemische Vorkenntnisse helfen, jedoch scheint mir die Begegnung mit der Person wichtiger zu sein als das vollständige Nachvollziehen der geistigen Feinheiten. Solche Menschen wie er, werden zu selten geboren. Dieser ist leider bereits gestorben.

Seine Ideen reichen weit über ihn hinaus.

Nach-oben-SymbolDrucker-Symbol