Einführung in die Systemische Organisationstheorie

Autor: Fritz B. Simon,

Verlag: Carl Auer 2007, 1. Auflage


Ein kleiner Schatz für alle die sich ernsthaft mit zeitgemäßer Organisationstheorie beschäftigen wollen. Bitte lesen!
 

Auch wenn der systemisch geschulte Experte Herr Simon, dieses Buch auch systemisch unerfahrenen Lesern empfiehlt, wird von den völligen Unbeleckten dieser Theorie, einiges abverlangt. Irgendwann ist wohl für Systemiker die Welt in dieser Komplexität normal und daher tendenziell leicht zugänglich für andere. 

Jedoch lohnt sich der Schritt ins Buch hinein für alle. Sowohl für Insider als auch Neulinge.

Wie ein guter sehr dichter Wein, will es langsam genossen sein. Es will Seite für Seite durchgeblättert und überdacht werden. Wie der Wein an jeder Stelle auf der Zunge, selbst im Nachgang, neue Geschmackserfahrungen liefert, wird dieses Büchlein (127 Seiten stark) Ihr Gehirn mit immer neuen Impulsen versorgen. Einzelne Sätze sind in ihrer Vieldeutigkeit gerne mehrfach zur Kenntnis genommen.

Am Ende werden Sie jedoch mehr als einen guten Geschmack haben. Sie haben die grundlegenden Bausteine und Sichtweisen der aktuellen Systemik zu sich genommen und hoffentlich gut verdaut.

Hier die einzelnen Kapitel:

1.      Wozu Organisationstheorie?

2.      Historischer und theoretischer Kontext

3.      Der Mythos der Rationalität

4.      Die Organisation und ihre Mitglieder

5.      Die Beobachtung der Organisation

6.      Organisation und Entscheidung

7.      Kopplungen

8.      Macht und Organisation

9.      Organisationskultur

10.    Wandel

11.    Die Organisation der Organisation

12.    Die Paradoxie der Organisation

Nachbemerkung und übliche Anhänge. 

Die wesentlichen Begriffe wie Autopoiesis, Kopplung, Beobachtung 2. Ordnung, Kommunikation etc. werden gestrafft in den einzelnen Kapiteln erläutert.

Die Normalität der Veränderung als lebensnotwendige Eigenschaft von Organisationen erscheint schließlich natürlich, ja eigentlich logisch. Wer jetzt noch an die Machbarkeit eines rationalen Vorgehens mit der zielgerichteten Erreichung von konkreten Zielen glaubt, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

Die für Anfänger etwas abstrakte Vorstellung von Luhmann, dass Kommunikation das eigentliche Fluidum systemischen Sehens und Verstehens ist, wird gut erläutert. Die Trennung der personalen Sicht und der darüber hinaus größeren des organisatorischen Gedächtnisses, unpersönlich und personal auswechselbar, wird verständlicher.

Hier am Beispiel eines Theaterstücks erklärt:

„Schauspieler (= konkreter, unverwechselbarer, ganzer Mensch, Individuum), Person, Person (= konstruierte/erfundene Fiktion eines ganzen Menschen), Rolle (= Funktion innerhalb der Handlung) auseinander zu halten, erscheint vor allem dann sinnvoll, wenn das Stück immer wieder und mit wechselnden Schauspielern gespielt werden soll. Dann nämlich lassen sich die drei Einheiten Individuum, Person und Rolle klar unterscheiden und unabhängig voneinander kombinieren. Derselbe Schauspieler, kann unterschiedliche Personen spielen, und die Personen können unterschiedliche Rollen innehaben.“ (S. 43)

Im 8. Kapitel greift er ein lange vernachlässigtes Thema in der Systemik, die Machtfrage auf.
Hier zeigt er u.a. auf zwei beliebte Strategien von Mächtigen, ihr Macht zu nutzen und „Nichtveränderung“ von eigentlich notwendigen Entwicklungen zu erzeugen: 

Zum einen in dem man Zeitdruck erzeugt und so Diskurs, Kommunikation und Konfliktbearbeitung vermeidet. Man hat ja wichtigeres zu tun.
Zum zweiten Konflikte zu erzeugen (natürlich an strategisch geschickten und für die eigene Position ungefährlichen Stellen) um so die eigene Position zu stabilisieren, bzw. von eigenen Unklarheiten abzulenken. (s. S. 94)

Hier wird künftig sicherlich aus systemischer Welt noch einiges Interessantes zu erwarten sein.
 

Im 10. Kapitel führt er Gedanken aus der Biologie ein und weist nach, dass die Idee „survival of the fittest“ wohl eher ein narzisstisches Denken der Menschen (Interpretation der Rezensentin) spiegelt, als tatsächliche Evolutionstheorie beinhaltet. Denn tatsächlich lässt sich erst im Rückblick entscheiden, welches Verhalten das richtige war. Dies hat oft mit Zufall zu tun und nicht unbedingt mit der richtigen Entscheidung.

 „Welche Eigenschaften für das Überleben oder Nicht-Überleben ausschlaggebend waren, lässt sich immer nur im Rückblick feststellen. Dabei können im besten Fall die Bedingungen des Nicht-Überlebens bestimmt werden, nicht aber die Bedingungen des Überlebens. Das heißt im Klartext: Es lassen sich keine Erfolgsfaktoren identifizieren, sondern immer nur Misserfolgsfaktoren. Rezepte fürs Aussterben sind immer sicherer zu formulieren als Überlebensregel. ….Das Zusammenspiel der unterschiedlichen, miteinander vernetzten Variablen hat zum jeweils aktuellen Status Quo geführt.“ (S. 105)

Im letzten Kapitel geht es um die Notwendigkeit die Nichtsteuerbarkeit von Organisationen zu erkennen (um sie zu steuern? Anm. d. Rez.). Die Eigenschaft, welche eine erfolgreiche Führungskraft benötigt, ist laut Herrn Simon, diese:


 „ Wenn man diese Fähigkeit als Persönlichkeitsmerkmal definieren wollte, so könnte man es am besten als Ambiguitätstoleranz charakterisiert werden. Gemeint ist die Fähigkeit Mehrdeutigkeit, Ambivalenz, Antinomie und Unsicherheit zu ertragen und Widersprüche nicht sofort durch eine Schwarz-Weiß-Logik zu beseitigen. Das heißt auch, sich der Paradoxien bewusst zu sein, in denen man steckt, und zu wissen, dass rationale Entscheidungen irrational sein können.“ (S. 122). 

Zielgruppe sind ganz klar alle die sich mit einer der zeitgemäßesten und ernsthaftesten Theorien zum Organisationsgeschehen beschäftigen wollen und ein kompaktes Einführungswissen benötigen. Jedoch wird es ein Buch sein das auch die erfahrenen Systemiker mehr als einmal in die Hand nehmen werden. Die Rezensentin jedenfalls, wird hier auch künftig sicherlich immer wieder neuen Denkstoff finden.
 

Das letzte Wort soll anerkennenswerter Weise Herrn Simon mit seinen letzten Worten in der Nachbemerkung gehören:

„Ob Organisationen vom „Genie“ ihrer Leitfiguren profitieren oder von ihrem „Wahnsinn“ zu Höllenmaschinen gemacht werden, ist nicht vorhersehbar. Ihre Konstruktion ermöglicht beides. Deshalb sollte eine jede Organisation ihre Führung immer auch kritisch beobachten und – im Idealfall – Mechanismen zu deren Kontrolle etablieren…..“ (S. 124)

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