Paradoxien der Führung

Aufgaben und Funktionen für ein zukunftsfähiges Management

Autor: Bernhard Krusche

Verlag: Carl-Auer, 2008, 1. Auflage

Wer auf den aktuellen Stand eines systemischen Verstehens von Führung kommen möchte, liegt hier genau richtig. Auf sprachlich gutem Niveau, doch auch für Nichtsystemiker durchaus verständlich, erhalten Sie hier eine hervorragende Chance die eigene Führungstätigkeit kritisch zu hinterfragen. Doch viel mehr: Es gibt konkrete Hinweise zur Verbesserung des Führungsverständnisses und für die Beraterzunft einige Anregungen, um Ihr Klientel ernsthaft zu unterstützen.

 
Dass eine systemische Sichtweise zunehmend zu einer der grundlegenden Haltungen im Führungsalltag wird, beweist dieses Buch anschaulich. Zunehmend steigt sie vom Elfenbeinturm ferner Theoriegebäude herab und beweist ihre Wirksamkeit im Alltag. Der Autor ermöglicht mit seinem Beitrag für Systemiker als auch alle andern, die sich mit zeitgemäßem Verstehen von Organisationen und Management beschäftigen, eine wunderbare Hinführung zu dieser Haltung.

Die Hauptkapitel werden jeweils mit Interviews zwischen Autor und einigen „Gurus der systemischen Szene“ (Baecker, Simon und Wimmer) beendet.

Doch nun zu den Fakten:

Spielansage (eine allgemein übliche Einführung zum Thema) (Anm.: Der Autor hat irgendwie wohl ein Fußballspiel im Kopf...scheint zur Zeit ein neues Faible in der Beraterszene zu sein, ein Unternehmen mit einem Sport zu vergleichen...)
1.    Wovon wir reden, wenn wir von Führung reden
2.    Im Stadion: Gesellschaft (
3.    Am Spielfeld: Organisation
4.    Im Spiel: Führung revisited
5.    Spielzüge: Praxis der Führung
6.    Führung auf dem Prüfstand – Der osb-Business-Navigator (Anm. : Ohne Eigenwerbung geht’s wohl nicht)
7.    In Zukunft führen: Implikationen für Beratung
8.    Spielstand
Übliche Anhänge

 

Der Autor wendet sich klar ab von der so bequem erscheinenden Beantwortung komplexer Fragen. Ohne aufdringlich systemisch zu sein, macht er einfach klar, „Wer die Lösung hat, hat ein Problem.“ (S. 15)

Interessant die Darlegung unserer gesellschaftlichen Strukturen. Wie Parteien, Familie, Staat, Kirche etc. ein Zusammenspiel ergeben und sich in einem grundsätzlichen Veränderungsprozess befinden. Welche Bedeutung kann Führung in diesem Prozess haben?

Herr Baecker gibt im Interview diese Antwort:
„In dem Moment, wo Führung zum Widerspruch ermutigt, stärkt sie ihre eigene Legitimation und investiert damit in ihre credibility, für die hoffentlich seltenen Momente, bei denen sie keinen Widerspruch dulden darf.“ (S. 50) „Führung lässt sich hier auf eine einzige Funktion reduzieren: das Setzen von unklaren Signalen, die es attraktiv erscheinen lassen, im Spiel zu bleiben.“ (S. 52)

Welche Bedeutung Organisationen aus seiner Sicht haben, zeigt dieses Zitat: „Die Organisation sucht und findet ihren Sinn über die Beschäftigung mit ihrer Umwelt, indem sie gesellschaftliche Fragestellungen in organisatorische Fragestellungen verwandelt.“ (S. 88)

Die Aufgaben von Führung sieht er in diesen Themen:

  • Versorgung mit struktureller Spannung (Einführung von Soll-Ist Differenzen)
  • Nachhaltige Überlebenssicherung (Beruhigung von Irritationen und Leistungserbringung sicherstellen)
  • Organisation wirksamer Entscheidungsprämissen (Der Kuh eine Weide geben und nicht ihr zu zeigen wie sie am besten Gras frisst, Zenmetapher)
  • Fokussierung von Aufmerksamkeit (Die Reduktion von Komplexität durch Fokussierung ermöglicht Handlungsfähigkeit)
  • (S. 93)


Den Ruf nach dem charismatischen Führer entlarvt er als gesellschaftlich Projektion die abhängig von den gerade kulturell angezeigten Entwicklungen sehr unterschiedlich ausfallen kann.

Den Sinn von Organisationskultur sieht er in der Stabilisierung der Alltagskommunikation. Sie wird gerne benutzt „ als Adresse für den diffusen Verdacht, dass etwas im eigenen Laden nicht in Ordnung ist – und zum Beispiel über Anweisung nicht gelöst werden kann...“ (S. 111).

Letztlich „ist Führung ganz und gar darauf angewiesen, Einfluss zu gewinnen, um Wirkung zu erzeugen; und diesen Einfluss – das erleichtert ihr Geschäft ungemein – nach Möglichkeit über die konkrete Situation ihrer Inanspruchnahme hinaus sicher zu stellen.“ (S. 120)

Ein Zitat von Baecker zum Begriff der „Macht“ soll auch wiedergegeben werden: “Macht wird verstanden als die Fähigkeit, selbst geschaffene Zwangslagen auszubeuten, wobei der Unterschied zwischen den Machthabern und den Machtunterworfenen darin besteht, dass die Machtunterworfenen von den Zwangslagen, die Machthaber, von ihrer Fähigkeit, diese zu schaffen, gebunden sind.“ (S. 120)

Was zeichnet aus Sicht des Autors „gute Führung“ aus?

  • Hohe Handlungsorientierung durch Methoden des erfahrungsorientierten Lernens
  • Praxisorientierung: Pendeln zwischen Workshop und Arbeitsalltag
  • Die Teilnehmergruppe als Lernfeld
  • Integratives Vorgehen
  • Reflexion von Person und Organisation (S. 152-153)


Insgesamt eine umfassende Berührung der wesentlichen Führungsthemen.

Will man Kritik üben, so fallen diese Punkte ins Auge: Die systemische Szene wie sie sich in Deutschland gerade zeigt, besteht hauptsächlich aus ein paar Clubs und Schulen, zu denen der Autor gehört. Simon, Wimmer, Baecker & Co. Haben es geschafft sich sowohl über gemeinsame Beratungskooperationen der unterschiedlichen Firmen, über die Initiierung von Kongressen und Großveranstaltungen, das Schreiben gemeinsamer Bücher und in diesen immer wieder die Referenz aufeinander. Hier hat sich in den letzten Jahren eine deutliche Monopolisierung von Gedanken und Aktivitäten entwickelt. Der dadurch natürlich entstehende Mangel an ausreichend anderen Herangehensweisen, wird leider auch in diesem Buch deutlich. Warum sich andere Systemiker hier noch nicht deutlicher zu Wort melden, wird bleibt unklar und man kann nur hoffen dass sich das bald ändert.

Ein weiterer Punkt ist der praxisbezogene Teil in Kapitel 5. Die sehr verallgemeinerten und etwas platt wirkenden Erläuterungen zu einem Organisationskonzept von Wimmer, erinnert dann doch wieder an die Unart von Beratern, allgemeines und damit eigentlich selbstverständliches als Neuigkeit zu verkaufen.

Nimmt man das in Kauf, wird man mit diesem Buch letztlich einen hervorragende „State of the Art“ in Sachen Verstehen von Führung und Organisationen aus systemischer Sicht finden. Ein Buch das wirklich Spass macht und sowohl vom sprachlichen als auch inhaltlichen Niveau angenehm sättigt.

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