Das Wie am Was

Das Kunstkonzept von Droege&Comp.

Autoren: M. Bockemühl und T. Scheffold
Herr Bockemühl ist als Professor Inhaber des Lehrstuhls für Kunstwissenschaft an der Universität Witten Herdecke.Herr Scheffold ist Geschäftführender Partner der Droege & Comp. GmbH  

Verlag: Frankfurter Allgemeine Buch, 2007

 Echte Innovationen sind rar. Mit diesem Buch lernen Sie eine solche besondere Rarität kennen. Kunst und Beratung begegnen sich auf gleicher Augenhöhe und führen einen überaus befruchtenden Diskurs.  

Wenn ein Unternehmen ein ganzes Buch lang über sich selbst und seine Philosophie spricht, legt man normalerweise spätestens nach der Hälfte dieses etwas entnervt auf die Seite. 

In diesem Fall passiert jedoch das Gegenteil: Es zieht die Leserin immer tiefer in diese Welt hinein. Eine Welt, in der die Kunst den Hintergrund bildet, für das was die Berater ihren Kunden nahe bringen wollen. Oder noch besser: die Kunst ist das Medium der gegenseitigen Kommunikation und hilft zu einem vertieften Verständnis von Organisationen.

Kunst ist hier sehr viel weniger trendiges Beiwerk als viel mehr ernst genommene Energie, deren Aussagekraft erforscht und für den Berateralltag übersetzt wird.

Zum Formalen:

Das Buch ist bereits vom äußeren Anschein ein Genuss für die Augen und Hände. Ein mattgold schimmernder fester Einband öffnet beim aufblättern den Blick für ein burgunderrotes Innenblatt. Das großformatige Werk erinnert sehr viel mehr an einen Kunstband, als an Beratungsliteratur. Die gesamte Gestaltung ist hochwertig und geschmackvoll. Im Text gibt es zwei Schriftfarben. Sobald die Kunst im Vordergrund steht und die Leser anhand vielfältiger Abbildungen bekannter (Immendorf, Klee, Picasso) und auch weniger bekannter Künstler in deren Werke hineingeführt werden, ist sie burgunderrot. Sobald es um das Unternehmen Droege und Comp. geht oder auch analytische und interpretatorische Aspekte benannt werden, ist die Schrift schwarz. So kann man beliebig der Kunst durch Buch folgen oder auch eher den philosophischen und praxisorientierten Überlegungen des Unternehmens. Beide ist jedoch sinnvoll und folgerichtig aufeinander abgestimmt. Die Gestaltung des Buches spiegelt Folgendes: Hier hat sich eine Organisation seit Jahren (bereits Anfang der 90`er) und zunehmend konsequent um eine echte Interdisziplinarität bemüht. Sehr erfolgreich übrigens!

Interpretiert man, was hier scheinbar tatsächlich als Unternehmenskultur gelebt wird, so tauchen Begriffe wie Ganzheitlichkeit, Verbindung von rechter und linker Gehirnhälfte, Intuition und Ratio, Emotion und Intellekt, Weiblich und Männlich, Yin und Yang etc. sofort als Metaphern auf. Übersetzt ist es das Wie und das Was das im Buchtitel auftaucht.

 

Die Kunst nimmt dabei eine eigenständige und selbstbewusste Rolle im Beratungskontext ein. Sie steht sozusagen neben dem Team als 2. Beratungsinstanz zur Verfügung. Dies drückt sich auch in der Wortwahl aus. Im schwarzen Bereich (also da wo es um die harten Fakten geht) wird sehr stark von Effizienz, Erfolg, ROC (return on consulting) und Ziel gesprochen. Im roten Bereich (also dem der Kunst) tauchen Wörter wie Ambivalenz, Irritation, Entwicklung, Wahrnehmung  und Prozesskompetenz auf. 

Ideen und Thesen sind in der Wahrnehmungspsychologie oder auch der Systemik und Kunstwissenschaft bereits wenigstens ansatzweise genannt. Es geht hier als nicht um eine gänzlich neue Erfindung, sondern um eine glaubhaft beschriebene Synthese und praktische Umsetzung der Erkenntnisse und Theorien.

Ganz konkret hat das Unternehmen auf verschiedenen Ebenen die Kunst ins Konzept integriert. Ganz materiell und für jeden Kunden, Mitarbeiter oder Besucher zugänglich im Gebäude in der Düsseldorfer Zentrale selbst. Hier haben verschiedene Künstler unterschiedliche Passagen im Haus gestaltet, Wände bemalt, mit Graphiken und selbstgewählten Motiven bereichert. Objekte regen zur Betrachtung in unterschiedlichen Räumen an. Auch der Bodenbelag wurde in die künstlerische Arbeit einbezogen. Ziel ist es, die Menschen anzuregen, ihnen mit diesen Arbeiten Hinweise auf Beratung und Lösungen in den Fragen zugeben, die sie bewegen. Man will das Geschehen in den zu beratenden Organisationen durch diese teilweise verwirrenden Erfahrungen beleuchten, Blickwinkel verändern und vergrößern. Bspw. steht im Eingangsbereich ein Objekt aus einem grauen und schwarzen Spiegel. Hier weiß der Betrachter nicht was er eigentlich sehen soll. Er sieht sich und doch auch den Spiegel. Welche Farbe hat nun was und was ist äußeres Objekt und was sofortige subjektive Reflektion auf die eigene Person. Hier kann man übrigens auch gut den Titel des Buches erläutern: Das Wie ist immer die Wirkung, die Irritation, das zunächst unerklärbare. Das Was sind die Fakten und das scheinbar objektiv vorhandene. 

Weitere konkrete Bereiche sind bspw. Besuche in Museen, jährlich individuell erstellte „Teller“ von Künstlern, die als Geschenk an die Mitarbeiter gehen u.a..
„Denn es zeichnet die Kunst aus, dass jedes Bewusstwerden untrennbar mit dem praktischen Tun des Gestaltens und Wahrnehmens verbunden ist. Es ist daher erforderlich, explizit auf die Kunst einzugehen, um anhand der Grundbefähigung en der Kunst die der Beratung zu erläutern. Qualitäten und Kompetenzen der Beratung aus der Kunst abzuleiten – es könnte als Umweg erscheinen. Dieser Umweg ist in Wahrheit eine Abkürzung. „ (S. 143) 

 

Die Übersetzung der Regeln der Kunst  („ Kunst hat keine Regeln. Kunst stiftet sie.“ S. 151) in den Unternehmensalltag ist nun die Aufgabe der Berater. 

Das Unternehmen hat sich folgende Aufgabe gesetzt: Unter dem Begriff „Umsetzung+“ wird die sogenannte Wie-Kompetenz, die sich im Betrachten und Erleben der Kunst herausstellt, auf die Beratung übertragen:

  • Wahrnehmungsgeleitetes Management (welche Abläufe, Probleme, Aufgaben werden wie interpretiert, wie bewertet und gibt es dazu noch nicht wahrgenommene Alternativen? Eine offene Strategie wird probagiert.)
  • Denken in Entwicklung (nicht nur kurzfristige Erfolge, sondern die Wirkungen auf Zukunfts- und Entwicklungsfähigkeit hin zu reflektieren um Nachhaltigkeit und Prozesskompetenz zu ermöglichen ist das Ziel)
  • Systemrelevante Kulturwirkung (welche Wechselwirkung erzeugt das Einzelne im Ganzen?)
  • Erweiterte Sozialtechnik (ein Miteinander, „nicht nur die Köpfe auch die Herzen gewinnen (s. Abbildung S. 187 Conversation) ermöglicht eine gemeinsame Ausrichtung)

Hier ein besonders schönes Beispiel für eine Bildkommentierung. Auf dem Bild von J. Zenuik sieht man „nur“ 3 Farben: Blau, Gelb, Rot:

Unternehmerische Kraft schafft ihre eigenen Tatsachen. Wenn wir die Dinge sehen, dann sehen wir auch ihre Farbe. Sonst wären sie unsichtbar. Wenn wir unseren Blick auf das Farbgebilde von Zenuiks richten, dann müssen wir jedoch nicht nach einem Ding suchen, das es darstellt und dem diese Farben als Qualität zugeordnet werden müssten. Ganz einfach: Diese Farben bezeichnen keine Dinge – sie sind, was man sieht. Sie sind die Farbe und damit nichts anderes als pure Qualität. In diesem Kunstgebilde sind die Farben von nichts anderem be-dingt als nur von der Farbe selbst. Dieses Gelb – hell  aufleuchtend zwischen Blau und Rot – entwickelt seine Strahlkraft einzig aus sich selbst. Große Werke und Entwürfe strahlen für sich und über sich hinaus, nicht allein in der Kunst, sondern auch in der Wirtschaft. Unternehmerische Kraft schafft ihre eigenen Tatsachen. Gerade in schwierigen Zeiten ist unternehmerische Initiative ein zentraler Wert, der aus sich selbst heraus produktiv wirkt. Sie entwickelt neue Strahlkraft. Dorthin sollten wir sehen. Dort ist Zukunft.“ (S. 177)

Auf den Seiten 191-201 finden Sie dann ausschließlich klug kommentierte und auf die Beratung übersetzte aussagekräftige Bilder und Kunstwerke, die bewusst doppeldeutig beschrieben werden.  Eine Hommage an die Kunst ist sicherlich ein Wert den dieses Buch hervorbringt. 

Den Abschluss bilden Erläuterungen zum Konzept der „anschauenden Ästhetik“ Eine umfassende Firmenphilosophie wird hier sowohl nach innen zum einzelnen Mitarbeiter, als auch nach außen in der Ausrichtung zum Kunden hin kommuniziert und scheinbar gelebt. Ungewöhnlich. 

Für € 59.- haben viele Autoren schon sehr viel Nichtssagenderes zum Thema Beratung erzählt. Soviel fachlich gut und komplex erläuterte Kunst gibt es meist zu höheren Preisen. Dass das Ganze natürlich auch ein überaus gelungener Kunstgriff in Sachen Selbstvermarktung sein dürfte, soll nicht verschwiegen werden. Zum einen ist eine Publikation im Frankfurter Allgemeine Buch Verlag schon ein Hinweis auf den intellektuell anspruchsvollen Inhalt. Dann ist die gediegene und geschmackvolle Gestaltung in Form und Umsetzung eine mehr als hochwertige Eigenwerbung. Schließlich wird das Ganze nun ja auch noch von potentiellen Kunden bezahlt und wird dadurch selbst zum Produkt. Wenn Werbung immer so inspirierend und interessant wäre, hätte man jedoch auch woanders vielleicht nichts dagegen ein paar Euro dafür zu bezahlen.

Die Kunst der Beratung begegnet der beratenden Kunst. Es entsteht ein echtes Gesamtkunstwerk auf hohem Niveau!

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